Bereits zum 9.Mal haben sich Vertreter der Energiewirtschaft zum jährlich stattfindenden Kongress „Kraftstoffe der Zukunft“ versammelt, um über Potentiale, Hemmnisse und Lösungsansätze der Biokraftstoffbranche zu diskutieren. Wer aber ein harmonisches Zusammentreffen von Bioenergie-Enthusiasten erwartet hat, bei dem das gemeinsame Branchen-Mantra gesungen wird, der wurde enttäuscht. Vor allem die offen ausgefochtene Debatte zum Thema ILUC und dem Umgang mit der Nachhaltigkeit der Biokraftstoffe beschreiben die kritische Katharsis, der sich die Bioenergiebranche weiterhin stellt.
„Lippen spitzen reicht nicht, jetzt muss gepfiffen werden“
Der diesjährige Biokraftstoff-Kongress fand erneut auf dem Gelände des Berliner ICC statt und wurde von 500 Teilnehmern aus 26 Nationen besucht. Organisiert wurde die Veranstaltung wie gewohnt vom Bundesverband BioEnergie (BBE) und der Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen (UFOP).
Ein buntes Besucherfeld und ein breit angelegtes Themenspektrum bei der Auswahl der Referenten haben zu einem interessanten Dialog auf dem 2-tägigen Biokraftstoff-Kongress geführt, bei dem alle drei Bioenergiezweige (Biogas, Biokraftstoffe und holzartige Biomasse) elegant miteinander verwoben wurden.
Insofern verdeutlicht schon die Auswahl der Themen, dass die Bioenergiebranche bei allen Tendenzen zu einer weiteren Aufsplitterung immer auch eine gemeinsame Basis behalten wird. Gasförmige, flüssige und feste Bioenergie werden in Zukunft noch viel häufiger flexibel ineinander überwechseln (Gasification, Liquified BioGas etc.).
Vor dem Hintergrund des Fukushima-Unglücks in Japan im vergangen Jahr und dem daraus resultierenden Beschluss zur Energiewende in Deutschland, wurden die Erneuerbaren Energien eigentlich schon als ein „Gewinner“ der schockierenden KKW-Katastrophe gesehen. Aber von diesem Optimismus ist zumindest in der Branche für Biokraftstoffe nicht viel zu spüren. Dafür gibt es aktuell zu viele politische Hemmnisse und sogar Rückschläge, weshalb vor allem die Biodieselbranche in Europa auf eine düstere Zukunft zusteuern könnte.
„Lippen spitzen reicht nicht, jetzt muss auch gepfiffen werden“ ist deshalb ein Zitat von Helmut Lamp (Vorsitzender des BBE), welcher damit die Politik zu einem entschlosseneren Handeln auffordert. Die schwarz-gelbe Bundesregierung soll doch bitte mindestens die im Koalitionsvertrag festgehaltenen Maßnahmen zur Entspannung der aktuellen Biokraftstoffsituation umsetzen.
Statt dem Verzetteln mit verwaltungstechnischen Fragen, müssen die Maßnahmen zur Wiederbelebung des Bioreinkraftstoffmarkts in Angriff genommen werden, mahnte auch Dr. Klaus Kliem (Vorsitzender der UFOP).
Versöhnlich zeigte sich Herrn Clemens Neumann (Abteilungsleiter beim BMELV) und betonte, dass Biokraftstoffe eine tragende Säule innerhalb der Dekarbonisierungsstrategie der Bundesregierung bilden, man dabei aber bitte nicht vergessen darf, dass es immer auch andere Interessen (Artenschutz, Flächennutzung etc.) gibt, die beim Ausbau der Bioenergie berücksichtigt werden müssen.
Evolution der Energiewirtschaft = Evolution der fossilen Energieunternehmen?
Auf dem Biokraftstoff-Kongress waren auch Vertreter der großen Mineralölunternehmen Shell und Total anwesend, die ihre eigene Bioenergie-Strategie und die bisherigen Erfahrungen mit der Biokraftstoff-Produktion vorgestellt haben. Somit waren auf dem Biokraftstoff-Kongress auch 2 der 10 umsatzstärksten Unternehmen der Welt vertreten. Ist das nun gut oder schlecht für die noch vergleichsweise kleine Biokraftstoff-Branche?
Meiner Meinung nach ist das ein zweischneidiges Schwert, denn nach dem Ausstieg beim BtL-Project von Choren in Deutschland ist Shell in den USA und in Brasilien weiterhin in mehrere innovative Biokraftstoff-Projekte involviert (Codexis, Virent, Raizen).
Somit fließt ein Teil der Petrodollar auch in die Entwicklung von neuen Biokraftstoffkonzepten. Positiver formuliert finden somit also eine Partnerschaft und hoffentlich eine fließende Evolution von den fossilen zu den erneuerbaren Energieträgern statt. So könnten beispielsweise die Erkenntnisse des zweiten Hauptverfahrens (Fischer-Tropsch) bei der fossilen GtL-Herstellung von Shell Pearl in Katar auch für die Entwicklung von Biomass-to-Liquid (BtL) verwendet werden. Biokraftstoffe der nächsten Generation profitieren also auch von den riesigen Investitionen der Mineralölunternehmen.
Wie lange diese Evolution von fossilen zu regenerativen Energieträgern letztlich dauern wird, dass werden die etablierten Mineralölunternehmen in jedem Fall entscheidend mit beeinflussen.
Eine unbequeme Wahrheit über Energieprodukte
Die direkte Konkurrenz mit den fossilen Kraftstoffen können Biokraftstoffe leider noch nicht für sich entscheiden. Die Klimabilanz von Biokraftstoffen ist in der Mehrheit zwar deutlich besser als bei den fossilen Kollegen, aber dieser Aspekt zählt leider noch zu wenig beim Verbraucher.
Damit sind wir bei einer „unbequemen Wahrheit“, wie es Elmar Baumann (Geschäftsführer des VDB) auf dem Biokraftstoff-Kongress genannt hat. Mit dieser etwas enttäuschenden, aber realistischen Einschätzung werden im Moment noch fast alle erneuerbaren Energieträger konfrontiert.
Der Preis von Energieprodukten ist immer noch das entscheidende Marktzugangskriterium. Verbraucher entscheiden sich bei der Auswahl ihrer Energieprodukte (Strom, Wärme, Gas, Kraftstoffe) mehrheitlich auf Grund des niedrigsten Preises.
Bis zu dem Zeitpunkt, an dem externe Kosten (Umweltschäden) oder die Klimabilanz (der CO2-Handel entwickelt sich schon) eines Energieprodukts in seine Preisfestsetzung einfließen, werden es Biokraftstoffe sehr schwer haben, überhaupt vom Verbraucher nachgefragt zu werden. Marktakzeptanz von Kraftstoffen regelt sich über den Preis. That’s it!
Eine schwer zu schluckende Pille für alle erneuerbaren Energien.
Eine Ausnahme bilden hier die festen Bioenergieträger (Pellets, Hackschnitzel etc.), welche schon heute mit einem Preisvorteil von etwa 40 Prozent gegenüber Heizöl oder Heizgas punkten können.
Der Anteil an EE-Strom soll bis 2050 auf 60 Prozent steigen und wir müssen Möglichkeiten finden, um die Erneuerbaren möglichst kosteneffizient in den Energiemarkt zu integrieren.
ILUC-Debatte: zerstört sich Europa seine Option für nachwachsendes Öl?
Dies ist eine schwierige Frage, die sich mir vor allem während der zahl- und facettenreichen ILUC-Präsentationen (Indirect Land Use Change) für Biokraftstoffe gestellt hat.
Seit der Veröffentlichung der IFPRI-Studie zum Thema ILUC geht in der Biokraftstoffbranche ein schwer greifbares Gespenst um, welches damit droht, einen Großteil der Branche, inklusive der Arbeitsplätze und getätigten Investitionen zu vernichten oder zumindest um viele Jahre zurückzuwerfen.
Ich kann die ILUC-Erkenntnisse die auf dem Kongress präsentiert wurden leider nicht in einem kleinen Abschnitt zusammenfassen, weil selbst viele von den Vortragenden, die sich intensiv mit ILUC beschäftigen (Pro- und Contra-Akteure), zu gleichen Teilen verunsichert wirkten. ILUC ist ein unglaublich komplexes und abstraktes Thema. Die Auswirkungen eines ILUC-Faktors, bei dem man beispielsweise pauschal 40 g CO2/ km auf die Klimabilanz aller Biokraftstoffe aufschlagen würde, wären dramatisch und in letzter Konsequenz könnte sogar die komplette Biodieselbranche in Europa zusammenbrechen.
ILUC war sicher das Thema, welches auf dem Biokraftstoff-Kongress für das größte Unbehagen gesorgt hat.
Die übertriebene Reduzierung der Vorteile von einer sicheren, nachwachsenden Menge an Öl innerhalb Europas auf die reine Klimabilanz ist doch sehr traurig und eindimensional. Und damit drücke ich mich noch ziemlich vorsichtig aus. Besonders wenn man den doch sehr fragwürdigen Modellansatz bedenkt. Immerhin gesteht die IFPRI-Studie ein, dass sie 25 Ungenauigkeiten aufweist.
Die EU-Politik bemüht sich so sehr um den Klimaschutz, dass sie sich bei der Auswahl ihrer Mittel lieber selbst geißelt, als wirklich einen Beitrag zum Klimaschutz im Verkehrssektor zu leisten. Biokraftstoffe können ab sofort eine CO2-Reduzierung von mindestens 35 Prozent gegenüber den fossilen Kraftstoffen erreichen. Das ist uns aber zu wenig und wir möchten gleich 60 Prozent CO2-Einsparung für Biokraftstoffe bis 2018 (EU-Richtlinie) sicherstellen. Möglicherweise wird das darin resultieren, dass wir im Verkehrssektor mittelfristig gar keine nennenswerten CO2-Einsparungen erreichen.
Und wenn wir diese ILUC-Büchse der Pandora für Biokraftstoffe schon öffnen möchten, dann sollten wir es konsequenterweise für jegliche Form der Landnutzung tun. Denn wenn wir diesen nur logischen Folgeschritt auslassen, dann werden genau die gleichen wertvollen Flächen in Indonesien einfach der Herstellung von Nahrungsmitteln und Kosmetik zum Opfer fallen. Und jetzt mit Diskutieren anzufangen, ob man für ein Shampoo Regenwald abholzen darf, aber für ein Biokraftstoff nicht, finden wir glaube ich alle ziemlich absurd – oder?
Ich beneide die politischen Entscheidungsträger nicht, denn wahrscheinlich können sie bei der ILUC-Problematik und den vielschichtigen Interessen kein wirklich befriedigendes Ergebnis erreichen.
In dem Blogartikel „Wenn die Guillotine fällt“ von Karsten Wiedemann (Bioenergie-Redakteur neue energie) fasst er die ILUC-Problematik, wie er sie auf dem Kongress erlebt hat, sehr ausgewogen zusammen.
Gasförmige, flüssige und feste Bioenergie werden zunehmend verschmelzen
Wie auf diesem Blog demonstriert, kann die Bioenergie bekanntlich in die 3 Säulen der gasförmigen, flüssigen und holzartigen Bioenergie unterteilt werden. Die Vorträge auf dem Kongress haben gezeigt, dass sich diese 3 Bioenergiesektoren mittelfristig immer mehr vereinen lassen und die strikte Trennung entfallen kann.
Dieses langsame Verschwimmen der Bioenergieträger demonstriert genau die Flexibilität, welche eine Kerneigenschaft und ein großer Vorteil der erneuerbaren Bioenergie ist. So kann feste Biomasse in ein Gas und bei Belieben anschließend auch noch in eine Flüssigkeit verwandelt werden.
Die Technologie der Biomasse-Vergasung als Grundlage für die Herstellung von Biokraftstoffen wird wohl noch einige Jahre F&E benötigen, bis sie in großem Maßstab genutzt werden kann. Im österreichischen Güssing gibt es aber bereits erfolgreiche Gasification-Versuche im Technikums-Maßstab zur Herstellung von Syngas.
In Ulm wird die Biomasse-Vergasung bereits seit dem Ende des vergangenen Jahres im ersten deutschen Holzgas-Kraftwerk angewendet und versorgt auf diesem Wege 20.000 Menschen mit Wärme.
Ein weiteres interessantes Konzept, dem ich auf dem Biokraftstoff-Kongress begegnet bin, ist die Herstellung von Liquified BioGas, welches man in Anlehnung an die fossilen Kraftstoffe auch LBG nennt. Wie der Name schon vermuten lässt, ist LBG eine verflüssigte Form des Biomethans und kann in diesem Zustand neue Transportwege erschließen ohne auf Erdgasleitungen angewiesen zu sein.
Nachhaltigkeitszertifizierung für Bioenergie startet durch
Die Aufbruchsstimmung im Bereich der Biokraftstoffe ist ganz eindeutig im Umfeld der Nachhaltigkeitszertifizierung von Biomasse für die Herstellung von Biokraftstoffen zu finden.
Somit ist das aktuelle Hoch (Nachhaltigkeitszertifizierung) und das aktuelle Tief (ILUC-Debatte) eng miteinander verbunden und innerhalb der verschiedenen Biokraftstoff-Akteure werden Interessenkonflikte sicher nicht ausbleiben.
Denn was bringt es der Biokraftstoffbranche mittelfristig, wenn man zwar die höchsten Nachhaltigkeitsstandards aller landwirtschaftlichen Produkte aufweisen kann, es aber gleichzeitig keine EU-Nachfrage nach diesen idealen Biokraftstoffen gibt, weil kaum ein Biokraftstoff die eventuell kommenden Standards (ILUC) erfüllen kann. Und außerhalb Europas kann man Biokraftstoffe auch ohne Nachhaltigkeitszertifikat verwenden.
Aktuell sind jedenfalls 7 Zertifizierungssysteme erfolgreich akkreditiert und es wird erwartet, dass in diesem Jahr etwa 20 weitere Systeme hinzukommen werden.
Die Realität erkennen und trotzdem optimistisch bleiben
Der Journalist Jacob Schlandt (Berliner Zeitung) war auf dem Biokraftstoffkongress einer der Moderatoren und hat bei der vom ihm moderierten Session die kühne Frage gestellt, was sich die Podiumsteilnehmer für eine Situation der Biokraftstoffbranche 2020 wünschen würden, wenn sie fern ab der Realität einfach mal „frei träumen“ dürfen.
Leider hat sich keiner der anwesenden Branchenvertreter zu einer kleinen Vision hinreißen lassen. Mich hat das ein bisschen enttäuscht, aber diese Einstellung basiert sicher auf den harten Erfahrungen, welche die Biokraftstoffbranche und ihre Interessenvertreter in den vergangenen Jahren immer wieder aufs Neue machen mussten.
In der Realpolitik sind glaube ich alle Branchenvertreter nun sehr sattelfest und abgehärtet. Ich finde es wird Zeit, mal wieder etwas positive Energie und Vision in die Welt der Biokraftstoffe zu spülen. Wie der Kongress nämlich auch gezeigt hat, gibt es die bei allen Wolken auch.
Im nächsten Jahr gibt es dann den 10 Biokraftstoff-Kongress, der mit dem 15-jährigen Bestehen des BBE zusammenfällt. Hoffentlich wird es abgesehen von dem Jubiläum noch viele Gründe mehr zum Feiern geben.
Vielen Dank an den BBE und die UFOP, dass sie mich als Bioenergie-Blogger zu der Veranstaltung der Bioenergie-Gemeinschaft eingeladen haben!