Was tut man, wenn einige Pflanzen soviel Biomasse produzieren, dass sie für einige Regionen zur Belastung werden? Genau – man bekämpft sie nicht, sondern nutzt sie!
Ich spreche ungern von „Unkräutern“ und lieber von Biotopen die aufeinandertreffen und sich noch nicht aneinander angepasst haben. Oder von Pflanzen deren Nutzen wir als Menschen nicht immer kennen. Meinetwegen auch von schnell wachsenden Konkurrenzen zu optisch aufregenderen Gartenpflanzen. Sei es drum. Genau wie die klassischen Unkräuter, haben auch Algen die bemerkenswerte Eigenschaft schneller zu wachsen als viele andere Lebensformen. Ihre Zellen sind optimal an ihren Lebensraum ohne physikalische Verwurzelung angepasst. Im Vergleich zu anderen Lebensformen sind die Zellen wenig differenziert, was Zeit bei der Fortpflanzung spart. Ihre Strategie bei der Populationsdynamik ist die der r-Strategen (gegenüber den k-Strategen) und sie setzen auf eine hohe Nachkommenzahlen von denen zwar prozentual betrachtet relativ wenige überleben, aber absolut gesehen immer noch sehr viele.
Konflikte für menschliche Siedlungen
Diese nützliche und erfolgreiche Evolutionsstrategie führt in einige Regionen zu Belastungen für die ansässigen menschlichen Siedlungen. Nicht nur in Kalifornien, wo die Bewohner mit der „red tide“ (Algenblüte) viele Probleme haben, sondern verstärkt auch an der Ostsee und Nordsee. Möglicherweise sind die steigende Wassertemperatur und das Einleiten von Nährstoffen, durch mündende Flüsse, an diesem Phänomen nicht ganz unbeteiligt. Wissenschaftlich kann in diesem Zusammenhang eventuell von einer zunehmenden Eutrophierung der Binnenmeer-Küstenregionen gesprochen werden. Die Algenschwämme werden an die Küste gespült und die Strände dadurch schwer begehbar oder zumindest unattrativ für einen Badestrand. An Orten, in denen der Tourismus eine wichtige wirtschaftliche Einnahmequelle darstellt, bedeutet das weit mehr als eine geruchliche Belastung. Außerdem sind die angeschwemmten Algen eine Sicherheitsgefahr beim Küstenschutz, denn bei ihrer Entsorgung wird die Deichstruktur nachhaltig verändert.
Eine gute Idee – stofflich und energetische Nutzung von Algen
Bisher wurden die Algenschwämme vom Küstenschutz in regelmäßigen Abständen abgesammelt, aufbereitet (Plastikmüll aussortiert, Algen kleingehächselt) und anschließend in die Umgebung verblasen. 22.000 Tonnen pro Jahr fallen fallen dabei allein an den Küsten von Schleswig Holstein an. Nun gibt es ein Umdenken und die Algen und Seegräser werden als das angesehen, was sie letztlich auch sind – nämlich Biomasse. Und die Biomasse-Nutzung erlebt im Zuge des Klimaschutzes und knapper werdender fossiler Rohstoffe einen wirtschaftlichen Aufschwung. So können 2 Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Die Strände werden für Anwohner und Touristen wieder begehbar und gleichzeitg wird ein innovativer Rohstoff gewonnen. Es laufen Pilotanlagen zur enegetischen Nutzung (Vergärung zu Biogas) und stofflichen Nutzung von Algen (Kosmetik, Arznei, Wellness).
Für weitere Informationen zum wirtschaftlichen Potential von Algen kann sich an die Fachhochschule in Flensburg und das Forschungsunternehmen Aquazosta Marine Plant Biotechnology in Schwerin gewandt werden.
Internationale Zusammenarbeit
Auch wenn Strandräumungsmaßnahmen und anschließende Verwertungsmöglichkeiten bis zu einem gewissen Grad der unternehmerischen Geheimhaltung unterliegen, gibt es in vielen Bereichen Chancen auf einen internationalen Austausch und enge Zusammenarbeit der Küstenregionen. Gerade im Bereich der Technologien und Forschung kann ich mir eine internationale Zusammenarbeit (z.B. mit Kalifornien) vorstellen. Die praktische Verarbeitung sollte jedoch regional erfolgen.
Technische Vorstellungen führen zu technischen Maßnahmen
Es ist schon seltsam, dass man die Wellenbewegung des Meeres, welche die Algen an die Küsten schwemmt, in gewisser Hinsicht als einen energetisch sparsamen Erntevorgang betrachten kann, an den sich eine klassische Abfallentsorgung anschließt. Das ist zugegebenermaßen eine sehr nutzenbezogene Betrachtung, die sich an der Effizienzoptimierung orientiert. Durch eine Ingenieursausbildung wird diese manchmal etwas lieblose Betrachtung der Umwelt wahrscheinlich etwas forciert. Ich halte das Denken in Stoffkreisläufen jedoch bei aller Technokratie für sehr nützlich beim Entwickeln konkreter Maßnahmen zum Klimaschutz. Und die Algenernte kann innerhalb einer sich wandelnden Energie- und Rohstoffwirtschaft einen wichtigen Beitrag leisten und mittlelfristig einen weiteren Link zum Umweltschutz bilden.